Wohn- und Geschäftshaus
Bim Zytglogge 5 – Theaterplatz 1, Bern
Beim Planen und Bauen im historischen Kontext entsteht ein besonderes Bedürfnis nach der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Ortes. Dazu musste in verschiedenen Archiven das Plan- und Bildmaterial gesichtet werden. Von Plänen aus früheren Jahrhunderten bis zur privaten Fotografie aus dem Besitz der vormaligen Eigentümerfamilien wurden Dokumente ausgewertet. In konstruktiver Zusammenarbeit mit Bauherrschaft und Denkmalpflege ist es gelungen, ein Umbau- und Sanierungskonzept zu erstellen, welches insbesondere die geschossweise Nutzung ab dem 19. Jahrhundert wieder in seiner ursprünglichen grosszügigen Raumdisposition und Farbgebung erlebbar macht.
Von Anfang an war also Suchen, nicht Wissen die entscheidende Triebkraft, um durch Annäherung Lösungsmöglichkeiten zur gestellten Aufgabe zu finden Da kein detailliertes Raumprogramm vorgegeben war, mussten während des Entwurfsprozesses die Zusammenhänge zwischen Zielsetzungen der Bauherrschaft und den Möglichkeiten der Altbausubstanz erkannt, gewichtet und konzeptionell geklärt werden. Als besondere Herausforderung erwiesen sich die Überprüfung der Planungsabsichten durch Befunde mittels Sondierun- gen am Bau. Diese führten zu Projektänderungen und neuen Baueingaben.
Die prozesshafte Entscheidungsfindung bedingt von allen Beteiligten ein hohes Mass an Flexibilität und Offenheit im Sinne und zum Wohle des Baudenkmals.
Bauzeit spätes 16. Jahrhundert
Es zeigte sich relativ früh, dass es sich bei dem Eckgebäude Bim Zytglogge 5, anhand der Archivalien, um ein gänzlich neu errichtetes Haus handelt, an dessen Standort bereits 1581 eine Apotheke erwähnt wird Mittels dendrochronologischer Untersuchungen an Balkenlagen im gesamten Gebäude konnten die Schlagdaten ab 1580 nachgewiesen werden.
Bereits kurz Zeit nach der Errichtung wurde im 2. Obergeschoss in Ost-West Richtung eine durchlaufende Riegwand eingezogen, welche ihrerseits einen Unterzug aufnahm, welcher die stattliche Spannweite der Balkenlage von ca. 8.30m halbierte.
Veränderungen zweite Hälfte 20. Jahrhundert
Im Zuge der Umbauarbeiten von 1964 wurden die Farbanstriche von den Fassaden am Zytglogge 5 entfernt und neue, weisse moderne Fenster eingebaut Aus dieser Zeit stammt die eher sperrig angeordnete neue Liftanlage, welche massive Eingriffe in die hofseitige Fassade bedingte. Ebenso wurden die meisten Oberflächen von Böden, Wänden und Decken in dieser Zeit ersetzt oder überdeckt.
Veränderungen 1990er Jahre
Insbesondere im 1. Obergeschoss wurden durch weitere Eingriffe in den 1990er Jahren, zwecks Nutzung als Zahnarztpraxis, eine starke Verunklärung der ursprünglichen Grundrisse umgesetzt Ohne jede Rücksicht auf den Bestand, wurden kleinräumliche Strukturen eingebaut. Die Hoffassade wurde ebenfalls abgebrochen und musste mittels Stahlträgern abgefangen werden, dies nur um eine kleine räumliche Erweiterung von ca. 60cm zu ermöglichen. Dazu kamen weitere notwendige statische Massnahmen, welche zu einer Beeinträchtigung der Raumhöhe führten Abgehängte Decken als Installationszone für die Haustechnik ragten ins Fensterlicht hinunter und gaben dem Raumeindruck den Rest.
Abwägungen für das 2. Obergeschoss
Die Befunde warfen vorerst Fragen auf. Im 2. Obergeschoss kam, gut verborgen unter vorgebauten Wandschichten, eine ausgezeichnet erhaltene sekundär eingebaute Zwischenwand zum Vorschein. Diese unterteilte den ehemaligen Festsaal mit wunder- baren zweiseitiger Befensterung und Aussicht auf Theaterplatz, Marktgasse und Kornhausplatz in zwei – ungleiche – Teilräume. In Absprache mit der Denkmalpflege wurde dann die «relevante Zeitschicht» eruiert. Viele Gründe sprachen dagegen, den bauzeitlichen, grosszügigen Eckraum wiederherzustellen.
Zu wertvoll und gut erhalten war der Zustand bis hin zu den Oberflächen der raumgliedernden Binnenwand. Diese konnte in eine Zeit um ca. 1720 datiert werden.
Zeitschichten im «piano nobile»
Im ehemaligen «piano nobile» dem 2. Obergeschoss waren die Umstände nicht ganz so verfahren. Allerdings hatte sich hier vor allem im nördlichen Eckzimmer die Vertäfelung und der zugehörige Parkettboden gerettet. Die beiden Räume aus unterschiedlichen Epochen vermögen heute als jeweilige authentische Zeitzeugen jeder für sich seine Epoche zu repräsentieren. Dennoch ist ein Stimmungsbild entstanden, das auch von den heutigen Nutzern sehr geschätzt wird. Die im Zuge der Bauarbeiten verborgene Nische der Verbindung zum angrenzenden Gebäude Theaterplatz 1 wurde so instand gesetzt, dass nach dem bevorstehenden Auszug des dortigen Mieters, die gesamte Fläche des Geschosses durchgängig genutzt werden kann. Somit folgt dann die räumliche Wiederherstellung des Zustandes welcher seit ca. 1820 die beiden zusammenhängenden Liegenschaften auch bezüglich Ausstattungen, Materialien und Oberflächenbearbeitungen bis hin zur Polychromie im gesamten Gebäude prägt.
Um diesen Raumeindruck zu erhalten, musste die Decke zum Dachgeschoss abgebrochen, die in den 1960er Jahren zwischen den restaurierten Originalbalken eingebauten Verstärkungsbalken demontiert werden. Stattdessen wurde eine «Bohlendecke» mit Altholz eingebaut, zwecks Aufnahme des neuen Bodenaufbaus im Dachgeschoss.
Weiterbauen am Erdgeschoss Theaterplatz 1
Die Liegenschaft Theaterplatz 1 wurde in ihrem Erdgeschossbereich bereits 1987/88 einem durchgreifenden Umbau des Ladenlokals einschliesslich einer Neugestaltung der Schaufensterfront unterzogen. «Im Zuge dieser Massnahmen bot sich die Möglichkeit, die im Laufe des 20 Jahrhunderts in Etappen veränderte und schliesslich gänzlich ausgebrochene ursprüngliche spätgotische Erdgeschossfassade durch einen gleichwertigen Neubau wiedererstehen zu lassen. Eine eigentliche Rekonstruktion wurde nicht ins Auge gefasst, wegen der dürftigen historischen Belege vor allem aber wegen der heutigen Nutzungsanforderungen an Ladenlokal und Schaufensterfront. Aus Vorschlägen der Denkmalpflege entwickelten die Architekten eine moderne Erdgeschoss-Fassade, die sich sowohl im Material (Sandstein) als auch in der Gestaltung (Dreiteiligkeit) an mögliche spätgotische Lösungen anlehnt und an die ursprüngliche Erdgeschoss-Fassade erinnert. Die Gesamtfassade konnte durch diesen Eingriff wieder sinnvoll ergänzt; die aufgehende erhaltene, sehr qualitätsvolle spätgotische Fassade konnte damit auch statisch und optisch wieder auf einen massiven steinernen Erdgeschossbereich abgestellt werden. Damit konnte eine der wenigen erhaltenen spätgotischen Fassaden der Stadt wiederhergestellt und eine fast unerträgliche Missgestaltung rückgängig gemacht werden. Die darüber liegenden Fassadengeschosse blieben dabei unangetastet» (Auszug Jürg Keller, 07.11.1988).
Der Eingriff von 2023 mit den neuen holzsichtigen Eichenfenstern vervollständigt die starke Anlehnung an den ursprünglichen Bauzustand.
Geschichte fortschreiben
Die bestehenden Zwischenwände und die Holztreppe ins 1. Obergeschoss erwiesen sich bei den Untersuchungen als sekundäre Veränderungen aus verschiedenen Epochen, welche in Absprache mit der Denkmalpflege keine qualitativen Kriterien erfüllten. Sie konnten zu Gunsten einer Rückführung in den ursprünglichen räumlichen Zustand entfernt werden.
Die heutige Lösung vermag sowohl die Geschichte des Ortes fortzuschreiben wie auch aktuellen Nutzungsansprüchen zu genügen. Die mit heutigen Gestaltungsmitteln hergestellte Stahltreppe zeugt von hohem handwerklichem Können und fügt sich, als zeitgemässer Bauteil, in die lange Kette vorheriger Zeitzeugen ein.
Archäologie
Dieser wurde im Erdgeschoss durch den archäologischen Dienst untersucht und es ist nicht auszuschliessen, dass dieser Gebäudeteil einmal unterkellert gewesen war. Die beiden Brandmauern stammen aus unterschiedlichen Zeiten und könnten im 14. Jahrhundert entstanden sein. Wohl aus der Bauzeit stammt auch die unter mehreren Schichten freigelegte Bohlendecke.
Ausnahmeregelung im 1. Obergeschoss
Die geschossweise Nutzung beider Liegenschaftsteile könnte dereinst auch im 1. Obergeschoss wiederhergestellt werden. Darauf wurde in dieser Bauphase allerdings verzichtet, da das Erdgeschoss Theaterplatz 1 eine sehr kleine Fläche aufweist und nicht unterkellert ist.
Zusammenführen der beiden Dachgeschosse
Auch im Dachgeschoss wurde die 1964 eingebaute Kleinwohnung mit separater Erschliessung ab der hofseitigen Laube zurückgebaut Die Aktivierung eines bereits vorbestandenen Mauerdurchbruchs der Brandmauer zwischen Zytglogge 5 und Theaterplatz 1 war wegen der Niveauunterschiede sehr anspruchsvoll. Die konzeptionelle Klarheit der durchgehenden Geschossnutzung bis ins Dachgeschoss ist eine Stärkung der Identität des Ortes wie sie seit der Vereinigung der Häuser um 1820 besteht. Bis heute existiert von der überlieferten Adresse Theaterplatz 1 kein Grundbucheintrag.
Bauherrschaft: |
Privat |
Realisierung: | 2020 – 2023 |
Auszeichnung: Dr. Jost Hartmann-Preis 2024